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Die Räbin

Autorenbild: Ko SchelKo Schel

Aktualisiert: 20. Feb. 2024





Eine Begegnung der besonderen Art



Endlich war er da. Der Frühling. In dem kleinen Wäldchen sprossen die Blüten und Blätter an den Bäumen. Eine seichte, sonnenerfüllte Brise zog durch die Luft. Es war herrlich hier durch den erwachenden Wald zu spazieren. Eigentlich muss man Forst sagen, denn hier mitten in der Stadt war man in fünfzehn Minuten am anderen Ende des „Waldes“ angelangt.

Ich trat gerade den Rückweg an, als ich in einiger Entfernung einen Raben hörte. Er schimpfte laut und verzweifelt. Als ich näher kam setzte er sich auf einen Ast in unmittelbarer Nähe und sah mich laut krächzend an.

Ganz erschüttert wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. „Was ist denn los mit dir? Was willst du mir sagen?“ fragte ich den großen schwarzen Vogel. Dieser fuhr fort mit seinem aufgeregten Geschrei und sah mich auffordernd an. „Was soll ich denn machen? Zeig mir was du mir sagen willst!“ forderte ich ihn unbeholfen auf. Seine Stimme war merkwürdig in die Länge gezogen, sodass ich mir Sorgen machte, ob er wohl krank sei. Doch die Gewissheit, dass er nur schon sehr lange hier saß und schimpfte kroch in mir empor. Um so länger ich ihm lauschte desto klarer verstand ich die Trauer, Verzweiflung und schiere Panik über den Zustand, in welchem er sich befand. Was auch immer die Umstände sein mögen die ihn so hatten werden lassen.

Er flog nun auf den Boden hob ein paar Blätter auf und schmiss sie umeinander, als würde er nach etwas suchen, ohne das Schimpfen zu unterbrechen. Als ich näher kam um zu untersuchen, ob er mir etwas am Boden zeigen wollte, flog er auf einen Ast und furhr fort mit seinen Klagen, ohne mich aus den Augen zu lassen.

Ich konnte nichts finden. Hier waren nur Blätter, Wiese und kleine Ästchen. „Ich kann dir nicht helfen, es tut mir Leid. Ich verstehe dich einfach nicht. Es tut mir sehr Leid was dir passiert ist.“ Teilte ich dem Rabe mit. „Wenn du möchtest, dass ich dir helfe, dann komm mit mir.“ forderte ich ihn weiter auf und begann meinen Weg fortzusetzten. Zu meinem Erstaunen folgte er mir, indem er von Ast zu Ast flog. Ich war mir sicher, dass er mir etwas ganz wichtiges und furchtbares mitteilen wollte, doch ich konnte ihm nicht helfen. Von Menschen die mit Tieren reden konnten hatte ich schon gehört und wünschte mir in diesem Moment so sehr, dass ich eine davon wäre.

Schimpfend folgte mir der Rabe gute zwanzig Meter nach, dann blieb er zurück und flog schließlich an die Stelle zurück wo ich ihn zuerst gesehen hattte. Er landete wieder auf dem Boden, nun an einer anderen Stelle und begann wieder schimpfend in den Blättern auf dem Boden herumzuwühlen.

Ich konnte nicht anders und lief noch einmal zu ihm zurück, aber auch an dieser Stelle war nichts zu finden. Von dem Schimpfen des Raben begleitet begann ich den Boden ein wenig abzusuchen. Leider ohne Erfolg. Dann gab ich auf. „Es tut mir Leid, ich kann dir nicht helfen, aber ich wünsche dir von Herzen, dass du heilst und dass es dir bald besser geht. Lebe weiter. Gib nicht auf. Alles Gute.“ Ich verbeugte mich vor ihm und sendete einen Lichtgruß aus Heilernergie. Dann ging ich weiter.

Erst einige Tage später fand ich wieder den Weg in den Wald.

Und tatsächlich. Da saß er an der gleichen Stelle und schimpfte immer noch. Doch nun hörte sich seine Stimme schon viel besser an. Auch seine Energie war nicht mehr ganz so aufgeregt. Ich war erleichtert, denn auch wenn er fortwährend klagte, so schien es ihm doch besser zu gehen. Er folgte mir wieder auf meinem Weg. „Geht es dir besser?“ frage ich ihn und bekam als Antwort weitere Klagen. Ich sah ihn an und fragte mich was ihm wohl nur zugestoßen war, da hörte ich aus der Ferne einen weiteren Raben, der nach ihm zu rufen schien. Er sah kurz auf, fuhr dann aber unbeirrt fort mit seiner Suche, von Ast zu Ast zu fliegen und mich zu beobachten. Da wurde es mir plötzlich klar. Er war eine sie. Und mit einer Sicherheit wusste, ich, dass es sich bei so einer Verzweiflung nur um ihre Babys handeln konnte. Etwas musste mit ihnen geschehen sein. Und sie suchte noch immer nach ihnen. Wieder krähte der Rabe aus der Luft seiner Frau etwas zu, das ich als eine Aufforderung verstand ihm zu folgen. Doch sie blieb hier und schimpfte und suchte unbeirrt weiter.

„Du suchst deine Kinder? Richtig?“ fragte ich sie, ohne eine Antwort zu bekommen. Tränen stiegen mir in die Augen. Diese edle, kleine Vogeldame suchte so reinen Herzens nach ihrer Brut und das schon seit Tagen. Gerührt und unfähig besseres zu tun sagte ich zu ihr: „Es tut mir so leid. Das war nicht richtig. Ich weiß nicht was passiert ist aber das war nicht richtig. Aber es gibt auch Schönes in der Welt. Und du wirst wieder Kinder haben. Und dann geht alles gut. Gib nicht auf.“

Ich blieb noch ein wenig bei ihr und lauschte ihren Klagen. Ich verbeugte mich vor ihr sendete ihr einen Lichtgruß in Form von Mitgefühl und ging weiter.

Diesmal kam ich eher wieder und war sehr glücklich zu sehen, dass die Räbin nun ganz ruhig war. Als sie mich kommen sah flog sie zu mir auf einen Ast und sah mich an. Ich strahlte. „Es geht dir besser! Das ist gut.“ Sie flog wieder auf den Wald boden und hob ein paar Blätter mit ihrem großen Schnabel hoch. Einen Kräher sendete sie mir, doch mehr war heute nicht zu hören. Ich blieb wieder ein wenig bei ihr. Dann machte ich mich auf zu gehen. Als ich begann zu laufen drehte ich mich um, wie immer, und war selbst überrascht die folgenden Worte aus meinem Mund kommen zu hören: „Ich liebe dich. Und ich fände es schön, wenn du auf dieser Welt bleibst. Mit mir.“ Dann verbeugte ich mich und sendete ihr einen Lichtgruß voller Respekt und Dankbarkeit, dafür, dass es sie gab. Dann ging ich weiter.

Das letzt mal, dass ich sie sah war ein paar Tage später. Ich konnte sie nirgends sehen. Ihr Platz war leer und ich dachte schon, dass sie nun endlich ihren Weg fortgesetzt hatte, als sie aufeinmal von einem großen Baum herabgesegelt kam. Sie setzte sich wieder auf einen Ast und sah mich an. Wir sprachen ohne Worte. Es war friedlich und still. So verharrten wir einen Moment zusammen. Und dann flog sie auf den Boden, drehte mir ihren Rücken zu und begann zu laufen. Ihr federner Schwanz wackelte liebreizend hin und her als sie über den Boden wog und sich immer weiter entfernte. Ich war erstaunt über dieses Verhalten. Doch da sie mir heute nichts zu sagen hatte drehte auch ich ihr den Rücken zu, um nach Hause zu gehen. Ich warf ihr noch einen Blick nach.

Ich verstand. Sie würde nun ihren Weg weiter gehen. Ich verstand auch, dass sie nicht wieder kommen würde. So ging auch ich meinen Weg weiter. Drehte mich abermals um und konnte nicht glauben, dass sie hier extra auf mich gewartet hatte um mir auf wiedersehen zu sagen. Sie hätte auch einfach davon fliegen können.

Kurz sah ich ihr nach wie sie immer weiter auf dem Boden davon . Dann ging auch ich.

Als sie bei meinem nächsten Besuch in dem Forst nicht mehr da war, dachte ich über diese kleine, wundervolle Gestalt nach. Und weinte, vor Glück drüber, dass wir uns kennen lernen durften.










 
 
 

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